Ray war schlagartig wach und setzte sich auf.
Das Zimmer kannte er nicht. Er sah durch die hohen Flügeltüren hinaus, ein sonniger, heller Sandstrand und das ruhige, glatte Meer im Morgenlicht. Er suchte nach einer Erklärung, wo er war und wie er hierher gekommen war.
"Du bist in Südfrankreich, an einem Strand aus deinen Erinnerungen, und wir haben dich teleportiert" sagte die Stimme in seinem Kopf. Ray kannte die Stimme, sie hatte in unzähligen Träumen mit ihm gesprochen, obwohl er sich nicht mehr an den Inhalt erinnern konnte. Er war allein im Zimmer, die Stimme hörte er nur im Kopf. Er war offenbar plemplem, er hörte Stimmen!
"Es wird Zeit, daß wir uns persönlich kennenlernen", sagte die Stimme, "und nein, du verlierst nicht den Verstand! Es mag dir ungewöhnlich vorkommen, aber das wird schon!" Ray sagte, er verstünde es nicht und wunderte sich, daß seine Stimme so laut klang.
"Du brauchst nicht zu sprechen" sagte die Stimme, "ich verstehe dich auch so!" Er saß minutenlang unbeweglich und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Stimme lachte ganz leise.
"Bist du bereit für eine Information, die dein Leben ab sofort verändern wird?" Die Stimme schwieg und Ray krallte seine Finger in die Bettdecke. Er hatte ungeheure Angst, er hatte keine Kontrolle über die Situation und das war das einzige Mal seit seiner Kindheit. Er stand auf und ging zu der Flügeltüre. Das Meer, das er so liebte, wirkte sehr beruhigend. Er entspannte seine Hände, die er zu Fäusten geballt hatte.
"Wir kennen uns schon lange, Ray, wir haben uns schon hunderte Male unterhalten. Daß du dich nicht daran erinnern kannst, ist beabsichtigt. Wir wollten dich erst ganz genau kennenlernen, bevor wir mit dir den Kontakt aufnahmen. Wir mußten sichergehen, daß du der Richtige bist." Rays Gedanken rasten, der Richtige wofür? Die Stille war befreiend und Ray hatte plötzlich keine Angst mehr. Er wußte irgendwie in seinem Inneren, daß er sie kannte. Daß er wußte, was sie von ihm wollten.
"Wir sind Jareel, darüber haben wir schon oft gesprochen. Wir beobachten den Planeten seit Jahrtausenden eurer Zeitrechnung und haben fallweise einige Richtige gefunden, die uns verstanden. Es war bisher nicht notwendig, in den Verlauf eurer Entwicklung einzugreifen. Doch vor 70 Jahren habt ihr einen bedeutenden Sprung in der technischen Entwicklung gemacht. Daß die Menschen sehr gewalttätig sind und seit Jahrtausenden Kriege führen, war uns aus unserer eigenen Geschichte bekannt, aber wir führen seit einer Million Jahre keinen Krieg mehr. Und die Tatsache, daß ihr Atomwaffen entwickelt und so leichtsinnig eingesetzt habt, hat den nächsten Schritt in unserem Prozess ausgelöst. Wir mußten auf den nächsten Richtigen warten. Der bist du." Die Stimme verstummte und Ray dachte nach.
Er wußte plötzlich wieder alles. Er hatte geträumt, daß er seine ganze Lebensgeschichte einschließlich seiner Sexualität detailliert erzählt hatte, daß sie seine Gedanken mit ihm diskutiert hatten und stundenlang mit ihm über seine besondere Gabe gesprochen hatten. Er wußte, daß sie real waren und nicht von dieser Welt. Es war etwas unheimlich, daß sie Aliens waren, doch sie hatten ihm in seinen Träumen erklärt, warum sie nicht direkt auf die gesamte Menschheit zugingen, warum sie sich bedeckt hielten. Sie waren so.
Ray verspürte den Drang, die Jareel zu sehen. Die Stimme schien zu lachen, als sie sagte, er solle sich wieder hinlegen. Noch bevor er sich auf dem Bett ausstrecken konnte, war er dort.
Er setzte sich wieder auf und blickte sich um. Es schien eine technische Einrichtung zu sein, die gesamte Ausstattung des kleinen Raumes war mit Apparaten aller Art vollgestopft und außer seiner Liege gab es kaum Platz für Lebewesen. Er stellte ernüchtert fest, daß er nur seine Boxershorts anhatte. Doch er bemerkte augenblicklich, daß seine Kleidung neben ihm lag. Er zog sich rasch an und band seine Turnschuhe zu. Die Stimme sagte: "Folge den Zeichen auf dem Boden." Die blinkenden Leuchtdioden auf dem Boden führten ihn lange im Zickzack nach vorn, bis er in einem größeren Raum stand. Die Leuchtdioden endeten vor einer kleinen vergoldeten Sitzbank und er setzte sich. Es war niemand da, nur eine exquisit verzierte Wand, vor der ein heller Lichtschein kurz aufglomm.
"Willkommen bei den Jareel, Raimund!" sagte die Stimme.