Picos betretene Reaktion und seine jungenhafte Verlegenheit reizten Olivia sehr. Vielleicht hatte ihre Einsamkeit schon zu lange gedauert, vielleicht wollte sie aber auch nur herausfinden, wieviel Macht ihre Erotik noch hatte? Daß sie den um ein paar Jahre jüngeren Pico sexuell sehr attraktiv fand, würde sie nie und nimmer zugegeben haben.
Ihr Spiel begann harmlos und endete nach zwei Tagen mit Picos Aufgabe; aber sie war ein wenig traurig, als sie das Spiel gewonnen hatte, denn später wünschte sie sich manchmal, sie hätte es lieber verloren.
Olivia begann das Spiel harmlos und steigerte den Einsatz von Mal zu Mal. Sie wußte, daß ihre Figur für ihr Alter erstaunlich jugendlich geblieben war. Schminke und durchsichtige Negligés waren das Erste, womit sie das Spiel eröffnete. Sie reizte ihn mit ihrer lasziv zur Schau getragenen Nacktheit, verwirrte ihn mit dem Knistern ihrer Erotik. Wann immer sich Gelegenheit bot, gewährte sie ihm tiefen Einblick in ihre Weiblichkeit und lächelte in sich hinein, wenn er glotzte und sich wie ein Karpfen auf dem Trockenen wand. Sie steigerte den Einsatz und rief ihn, wenn sie vor dem Schminkspiegel saß und ihre Brustwarzen mit roter Farbe aus gestampften Blütenblättern nach einem alten ägyptischen Rezept bemalte. Pico starrte wie hypnotisiert auf den feinen Pinsel und ihre blutroten Brustwarzen. Sie blickte ihn spöttisch an und bat, er solle ihr (einen Likör, eine Puderdose oder was auch immer) aus dem Wohnzimmer bringen. Der arme Kerl stolperte beinahe über seine eigenen Füße, wenn er sich auf den Weg machte.
Olivia wußte, wie man sich im Negligé so geschickt bewegte, daß es nicht vulgär aussah. Ebenso gab es kleine Kniffe, die etwas erschlafften Brüste etwas höher, aggressiver zu binden, ohne daß der Trick gleich sichtbar wurde. Im dünnen Seidenumhang flog und tänzelte sie wie eine nackte Elfe durchs Haus und lachte glockenhell, wenn er ihr mit offenem Mund nachgaffte. Man konnte meinen, daß sie in dieser Zeit bis zur Verführung Picos um Jahre jünger wurde. Sie rief ihn, wenn sie in der Badewanne lag und unsinnige Nichtigkeiten benötigte; wie ein wohlerzogener Pudel apportierte er alles, was sie verlangte und versuchte, seinen Blick peinlich berührt von ihrer geschickt halbverborgenen Nacktheit abzuwenden, sobald sie ihn direkt ansah und er sich ertappt fühlte. Sie ließ sich von ihm das Badetuch reichen und trockenreiben; sie lächelte ihn wie ein Sphinx an, wenn sie seine Hände genau dorthin dirigierte, wo in seinen Augen die Schmetterlinge zu flattern anfingen. Sie liebte diese Schmetterlinge und ließ sich mit dem Frotteebadetuch lange und intensiv abreiben. Später legte sie sich auf das Massagebett neben der Wanne und befahl ihm, sie unter dem Badetuch mit Öl oder Hautmilch einzureiben, "aber nicht gucken!". Sie blinzelte heimlich auf seine kurze Hose, die sich gewaltig ausbeulte und hieß ihn, sie überall — auch dort, gerade dort! — mit warmen Ölen einzureiben. Manchmal wurden die Minuten zu halben Stunden, weil sie ihm im Schutze des Frottebadetuches fast alle Freiheiten ließ. Sie stellte sich träumend und dösend, wenn seine Finger Regionen, die sonst tabu waren, erreichten und bis zu der Grenze stimulierten, wo sie Angst vor ihrer eigenen Erregung bekam und ihm Einhalt gebot.
Nachts, wenn sie seine Matratze knarren hörte, wartete sie den richtigen Zeitpunkt ab und huschte in sein Zimmer, stand dann im durchscheinenden Nachthemd unter der Tür im Backlight der Vorzimmerlampe und verwickelte ihn in eine Diskussion über die verstörenden erotischen Träume, die sie vorgab, gerade gehabt zu haben. Sie grinste, weil er schon fast auf dem Höhepunkt gewesen war und nicht fertigmachen konnte, und daß die erotischen Details ihrer Träume, mit denen sie nicht geizte, ihn nun wie einen Fisch an der Angel zappeln ließen. Schritt für Schritt wurde sie mutiger und ließ immer mehr Textilien weg, lief manchmal völlig nackt und in Tränen aufgelöst in sein Schlafzimmer und hielt sich an ihm fest, weil sie geträumt hatte, vergewaltigt zu werden. Sie ließ sich trösten und streicheln, "aber nicht anfassen!" Besonders liebte sie es, nackt im Schneidersitz auf der Veranda zu sitzen und ganz, ganz langsam die Zehennägel rot zu lackieren. Dann saß er ihr gegenüber, zappelte auf der Bank und guckte sich die Augen aus.
Je mehr er zappelte, um so gewagter wurde ihr Spiel. Wenn sie abends ein Glas Wein tranken, hatte sie nur einen durchsichtigen Seidenchiffon um ihre Hüften gebunden und zettelte eine Diskussion über zumeist erotische Themen an. Sie ließ sich alles über den Sex mit Lila erzählen und fragte ihn aus, was er über Rodolfos Liebelei mit Lila wußte. Dann lehnte sie sich auf der Couch zurück, um manchmal wie abwesend die Scham unter dem Nichts von Seidentuch zu betasten, doch mehr ließ ihr Schamgefühl einfach noch nicht zu. Eines Abends überwand sie auch diese Barriere bei einer Diskussion über die weibliche Masturbation. Schon während sie diskutierten, zog sie die Beine im Schneidersitz hoch und spielte mit sich; erst unspezifisch und wie nebenbei, während sie öfter als sonst an ihrem Rioja nippte und sich Mut antrank. Der Rotwein entflammte ihre Wangen, allmählich schaffte sie es, die Hürde ihres Schamgefühls zu nehmen. Pico erzählte in aller Offenheit über das Masturbieren Lilas, das Seidenchiffon flatterte zu Boden. Freizügig wie eine Palasthure ließ sie ihn gaffen, während sie mit sich bei seinen Schilderungen spielte, und je mehr er hinstarrte, um so erregter wurde sie. Es war danach nur mehr ein winzigkleiner Schritt, die Augen zu schließen und beim sanften Masturbieren das schwankende, neblige Gefühl des Eintauchens in den Schwips zu genießen. Pico schlich gierig und ungeduldig näher, aber sie wies seine offenen sexuellen Annäherungen wie immer spröde und energisch ab, was er nicht verstand. Natürlich würde er es nie verstehen, denn sie übte auf Kosten ihres Schamgefühls Macht über ihn und über seine Geilheit, vielleicht irgendwie auch über Don Rodolfo, aus.
Danach war es, als ob ein Damm gebrochen wäre. Olivia kannte nun überhaupt keine Scheu mehr, wenn sie sich jetzt nach dem Bad massieren ließ. Er durfte unter dem Badetuch alles tun, wirklich alles, aber nur mit den Händen, und nur unter dem Schutz des Badetuches. Seine Hände waren zart und wissend, aber sie scheute sich meist, ganz aus sich herauszugehen und versuchte, ihre Erregung so weit wie nur irgend möglich zu unterdrücken. Nur, wenn sie die Augen schloß und von ihrer Geliebten träumte, wurde sie von ihren Gefühlen, von ihrer Erregung überschwemmt und wand sich ekstatisch unter seinen stimulierenden Händen, die sie ebenso zart wie die ihrer Geliebten erregen konnten. Längst war das Badetuch zu Boden geflattert, längst war es ihr egal, daß sie ihm vollständig nackt ausgeliefert war, doch mit dem Höhepunkt geizte sie, weil das immer noch zu ihrem Spiel gehörte. So oft es ihr gelang, behielt sie die volle Kontrolle und brach vor dem Höhepunkt ab. Sie wußten beide, daß es um Macht und Kontrolle, um Sein und Nichtsein, um oben und unten ging und versuchten beide, zu gewinnen. Immer häufiger verlor sie anscheinend die Kontrolle und wand sich selig im Orgasmus, ließ ihn im Glauben, an Boden zu gewinnen. Er drehte fast durch, weil sie ihn energisch und kalt abwies, sobald er mehr wollte.
Sie war trunken von ihrer Macht, die sie jetzt über ihn hatte und schlich nachts wieder zu ihm. Sie wußte genau, daß er noch in hellem Aufruhr war und seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht hatte, als sie sich neben ihn legte; denn es gehörte mit zu ihrem Spiel, ihn Minuten vorher zu unterbrechen. Sie liebkoste seine Brust, seine Arme und seinen Leib und fühlte, als ihre Hand ihn wie ein Windhauch berührte, daß sein Steifer beinahe barst; spielerisch trat sie den Rückzug millimeterweise an. Sie ließ ihn ihren Körper liebkosen, ihre Brüste und die Brustwarzen stimulieren, fühlte die Erregung in sich aufsteigen und fühlte die gierige Leere, weil er ihren Unterleib trotzig nicht anrührte. Irgendwann, ja, irgendwann mittendrin schien sie das Spiel aufgegeben zu haben oder von ihrer Erregung übermannt worden zu sein und masturbierte. Sie schrie auf, als er sich genau in diesem Moment, im aufkommenden Orgasmus, gereizt und stark wie ein Bulle auf sie stürzte und sie fickte, daß ihr Hören und Sehen verging. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib, weil ihr Orgasmus nicht und nicht enden wollte, und als er sich heiß und heftig ergoß, schrie sie triumphierend im ausklingenden Orgasmus, weil sie das Spiel gewonnen hatte! In den folgenden drei Wochen fickten sie zu jeder Tages‐ und Nachtzeit wie besessen. Sie masturbierte kurz vor seinem Abspritzen und ließ ihn mitten in ihren Orgasmus hineinspritzen. Immer freizügiger masturbierte sie in seiner Anwesenheit und nachdem sie ihm ihre Lebensgeschichte und ihre Sexualgeschichte wahrheitsgemäß und mit allen schweinischen Einzelheiten erzählt hatte, gab sie unumwunden ihre lesbische Neigung zu. Es kränkte ihn sehr, daß sie viel lieber masturbierte als mit ihm zu ficken. Er nahm sie mit Gewalt und fickte sie ein ums andere Mal. Es war sein Abschied von ihrem betörend verführerischen Körper.
Am nächsten Morgen, als sie erwachte, war er nicht mehr da, nur ein Zettel als Erklärung. Pico hatte sich aus freien Stücken auf die TITANIA verbannt, da er es nachts in ihrer Nähe einfach nicht mehr aushielt, stets in der Furcht, sie entweder vergewaltigen zu müssen oder verrückt zu werden. Hätte er in ihre Seele blicken können, er hätte begriffen, daß die Verbannung nach ihrem Sieg unnötig geworden war, aber er empfand das Unrecht in seinem Tun übermächtig und lebte die folgenden Wochen allein auf der Jacht.
Im Salon las er im dämmrigen, behaglichen Licht der Petroleumlampe immer wieder nach, was seine Mutter vor über vierzig Jahren ihrem Tagebuch anvertraut hatte, über jene Zeit und jene Ereignisse, die manchmal wie Nebelschwaden durch seine Erinnerung wallten. Er schämte sich beim Lesen mancher Zeile, denn damals hatte er gedacht, in dem dämmrigen Licht der kleinen Schreiblampe hätte seine Mutter nichts auf dem im Dunkel liegenden Bett erkennen können, sonst hätte er sich nicht vor ihr entblößt. Allerdings erinnerte er sich sehr gut daran, daß er damals zwischen ihre Schenkel glotzte, fiebrig und geil auf ihre Spalte starrte, wenn sie sich beim Schreiben geistesabwesend betastete. Manchmal weinte er, denn sie war nur 34 Jahre alt geworden und fehlte ihm immer noch sehr.
Er bekam beim Lesen richtiggehend eine Gänsehaut, denn er hatte wirklich nie etwas von ihren Spielereien mitbekommen. Als er darüber das erste Mal darüber las, war er über seine Erinnerungslücken so entsetzt, daß er noch lange felsenfest glaubte, Anna Maria hätte dies alles nur erfunden. Er fühlte sich unbehaglich, als er diese Tagebuchstellen las, denn er hatte all das vollständig vergessen, aus seinem Gedächtnis verdrängt und getilgt. Pico wußte, daß Lila das alles erst nach dem Tod seiner Mutter aus ihrem Tagebuch erfuhr — trotzdem erschauerte er, als er daran dachte, daß Lila all das wußte und jahrzehntelang kein Sterbenswörtchen darüber verlor, obwohl sie fast 30 Jahre miteinander gelebt hatten. Er las diese Zeilen immer und immer wieder, weil seine Mutter sich nur hier so offen hatte aussprechen können.
Ihre geheimste, intimste Beichte war sein wertvollster Schatz.