Der Tödliche Streit

Pico und Peter reisten nach Zürich, um das Geld abzuholen, das Peter in seine Reisetasche packte und diese dann nicht mehr aus der Hand gab. Sie schlenderten in der Stadt umher, saßen in den Kaffeehäusern und fütterten die Schwäne am Seeufer. Peter grübelte und sinnierte halblaut vor sich hin, warum nur so wenig eingelangt war; er ging seine Liste im Kopf durch, um jene herauszufinden, die seinen Drohungen widerstanden hatten. Pico blieb schweigsam, während Peter innerlich kochend gegen seine Opfer wütete. Es wurde allmählich wieder Abend, sie eilten zum Nachtzug nach Wien.

Der Wein macht alles noch schlimmer, dachte Pico, als sie in Peters Wohnung saßen und tranken. Er trank vorsichtig und abwartend, Peter begann sofort mit der Auswertung der Beute und stürzte den Wein achtlos hinunter. Er studierte den Kontoauszug eingehend und hakte die Namen auf seiner Liste ab. Bei einigen Namen machte er Fragezeichen, unterstrich sie wütend oder malte Kringel um die Namen. Er konnte es einfach nicht fassen, daß sich dieser oder jener widersetzt hatte. Pico blieb schweigend im Hintergrund, bis Peter fertig war.

"Ich glaube, das waren alle" sagte Pico, "es können höchstens noch ein paar Nachzügler kommen, aber nichts Großes mehr. Wir sollten sofort abhauen!" Peter schüttelte störrisch den Kopf. "Sie werden zahlen, alle!" fauchte er eigensinnig und las die Namen der noch offenen Zahlungen halblaut vor. Pico war hundemüde von der langen Fahrt, er war müde vom Rotwein und er hatte kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. Das sagte er Peter auch.

Eine Weile hörte er noch dem Dozieren Peters zu, der sich immer heftiger in die Phantasie hineinsteigerte, die Sache nochmals, mit viel höheren Beträgen, durchzuziehen. Der Wein ließ Peter immer größenwahnsinniger werden. Pico schüttelte den Kopf und warf immer wieder ein, so etwas ginge nur einmal und auch nur dann gut, wenn man sich sofort absetzte, am besten nach Argentinien oder sonstwo in Südamerika oder Fernost. Er dachte an den dritten und schwersten Teil, die Herausgabe der Videos. Er war sich sicher, daß Peter, wenn er wieder nüchtern und zur Vernunft gekommen war, sich anschließend sofort nach Amsterdam, zu Angel, absetzen werde. Er sollte sich irren.

Peter hatte inzwischen viel zu viel getrunken und spann sich immer tiefer in seine Rachegedanken hinein. Es gab kein Zurück, und was faselte dieser blöde Pico nur von Aufhören und Abhauen?! Nein, er würde erst abhauen, wenn alle bezahlt hatten, alle! Er kramte in einer Schublade und holte seine schwere Automatikpistole heraus, knallte sie vor Pico, dessen Augen sich vor Entsetzen weiteten, krachend auf den Tisch. "Zahlen werden sie, alle!" donnerte er und hieb mit der Waffe erneut auf die Tischplatte. Pico war vor Schreck erstarrt und konnte seinen Blick nicht von der Waffe lösen. Er hatte noch nie eine Waffe angerührt.

"Wozu brauchst du die?" fragte er nach einer Weile wispernd, um das Böse, das im Zimmer irgendwo lauerte, nicht zu wecken.

Peter genoß seine neue Machtposition, die ihm seine Trunkenheit vorgaukelte. Lässig schwenkte er die schwere Pistole in der Hand und sagte mit schwerer Zunge: "Eigentlich hatte ich alles anders geplant. Angel ist schon nach Amsterdam vorausgefahren, und wenn mit dem Geld alles klappt, werde ich nachts zur Donau fahren, dort Schuhe, Kleider und einen Abschiedsbrief am Ufer deponieren, was es der Polizei leicht macht, mich für tot zu erklären — und ich tauche dann für eine Weile bei Angel unter, bevor es weitergeht. Hinaus, in die goldene Freiheit!" Peter griff schwungvoll nach seinem Weinglas und prostete einem imaginären Gegenüber zu, bevor er den Rotwein mit einer weit ausladenden Geste an die Lippen setzte und gierig austrank.

Pico war es bei diesen Worten immer unbehaglicher geworden, denn entweder wußte Peter in seinem Dampf überhaupt nicht mehr, wo oben und wo unten war, oder er hielt ihn für total naiv. Natürlich wußte Peter genauso wie er, daß man ohne Leiche kaum jemanden für tot erklärte. Und wo sollte Peter nur eine Leiche hernehmen? Nur allzu klar wurde es Pico, daß Peter seine Automatik nur nahe genug an seinen Kopf halten mußte, um eine Leiche mit total zerfetztem Gesicht zu haben, und das ging vermutlich ganz leicht. Er war auch schon leicht angetrunken und geriet Panik, obwohl er sich hätte sagen müssen, daß noch keine akute Gefahr bestand. Aber Pico geriet nun mal leicht in Panik, mußte nun Zeit gewinnen, um abhauen zu können.

"Der Abschiedsbrief," keuchte er, "der Abschiedsbrief — den gibt es sicher noch nicht, oder doch?!" Er hoffte, Peter mit der Erwähnung solch banaler Fakten wieder auf den Boden der Realität zurückholen zu können. Aber wieder irrte er sich. Peter stand lässig auf und holte einen Umschlag, der im Regal unauffällig zwischen zwei Büchern eingeklemmt war. Er schien beinahe ein wenig verärgert zu sein. "Da!" bellte er, "der Abschiedsbrief!" Wie unter einem Zwang blickte Pico auf das Blatt und las: "Ich kann nicht mehr, ich halte es nicht mehr aus. Ich bin zu weit gegangen! Verzeiht mir!" Peters Handschrift. Peters Unterschrift.

So kurz und knapp — doch es würde reichen. Pico überschlug die Situation im Kopf und vermutete, daß die Polizei bei einem solch einfachen und doch verwirrt wirkenden Abschiedsbrief eher die Wahrheit annehmen konnteals bei einem hochkomplizierten, wundervoll abgefaßten Text, der eher auf kühle Berechnung als auf Verwirrung und Verzweiflung hinweisen würde. Peter versorgte den Abschiedsbrief wieder sorgfältig im Regal und kam mit der Waffe in der Hand zum Tisch. Entschlossen stürzte er den Rotwein hinunter und murmelte: "Warum sollten sie auch lange untersuchen — alle Indizien für einen Freitod und ein Abschiedsbrief: Stempel drunter, Akte zu! Nur keine unnötige Arbeit!"

Vermutlich wäre alles anders gelaufen, hätte Pico nicht seine Zweifel geäußert. Seine Zweifel, daß ein Selbstmord ohne Leiche nicht so einfach in der Schublade verschwindet. Sie würden sicher mit Tauchern, Feuerwehr und Wasserpolizei das gesamte Donauufer absuchen. Tagelang, vielleicht wochenlang. Und ohne Leiche ...

Er verstummte sofort, als er die kalte, harte Mündung der Pistole an seiner Schläfe spürte. In den endlos scheinenden Sekunden überschlugen sich die Gedanken panikartig in Picos Hirn. Das Ende, das wirkliche Ende!

Doch nichts geschah. Pico spürte, wie das harte Ding an seiner Schläfe leicht wackelte, als Peter trank. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund und meinte: "Wenn man eine Leiche braucht, dann ist das doch kein Problem, nicht?"

Vermutlich wäre wirklich alles anders verlaufen, wäre Pico nicht dermaßen unter Streß gestanden und hätte er rechtzeitig gemerkt, daß Peter nur einen schlechten Scherz gemacht hatte. So war er wirklich voll Todesangst und stieß einen schrillen, animalischen Schrei aus. Die Schnelligkeit, mit der er aufsprang, überraschte Peter völlig. Pico krallte sich mit beiden Händen an das Erste, das er vor sich sah, umklammerte Peters Hand mit der Waffe und stieß sie von sich. Fast wie in Trance sah er, wie sich die Mündung in Peters Brust bohrte, dann erst hörte er den hellen, gedämpften Knall.

Wie zwei Tänzer standen sie sich gegenüber, eingefroren in einer seltsam verdrehten Choreographie. Pico ließ Peter langsam los. Peter drehte sich mit einem verwunderten Gesichtsausdruck langsam um seine Achse und sank in einer langsamen Pirouette auf den Stuhl. Seine Hand mit der Pistole fiel kraftlos herab, die Pistole polterte zu Boden. Er griff mit einem erstaunten Gesichtsausdruck nach seiner Brust, aus der das Blut langsam herauszufließen begann, über sein Hemd auf die Gürtelschnalle und dann auf die Sitzfläche zwischen seinen Schenkeln rann. Verwundert blickte er zu Pico und wollte etwas sagen, aber sein Mund blieb offen. Er atmete aus, das letzte Mal, und die Luft entwich mit einem gräßlichen Geräusch, dann fiel sein Kopf auf die Brust.

Pico stand starr und stumm. Was war geschehen? Wie konnte das geschehen? Sein Kopf, in dem sich die Gedanken bis vor Sekundenbruchteilen noch voller Panik überschlagen hatten, war plötzlich wie leergefegt. Er konnte an nichts denken, starrte nur auf Peter, der gerade innerhalb von Sekundenbruchteilen gestorben war, starrte auf das Blut, das nun langsam auf den Boden tropfte. Er getraute sich nicht, Peter anzufassen und festzustellen, ob er vielleicht noch lebte — nein, Peter war sicher tot. Pico stand unschlüssig da und starrte auf die Blutlache, die unter dem Stuhl allmählich größer wurde.

Er wußte später nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis er aus dieser Erstarrung aufwachte. Sein erster Gedanke galt dem Video, er trat schnell zum Regal und fand es sofort, dann kramte er noch einige Minuten in den Regalen und fand noch ein weiteres Band. Sonst war nirgends eine Videokassette zu finden. Als er sich wieder umdrehte, sah er, daß Peters Körper sich langsam zur Seite drehte. Er befürchtete, Peter würde zu Boden fallen, aber der Leichnam blieb über die Armlehne gebeugt hängen. In wilder Panik raste Pico aus Peters Wohnung und lief in die Nacht hinaus.

Er hörte erst zu rennen auf, als er schon beinahe zuhause angekommen war. Er mußte einige Sekunden stehenbleiben, um wieder zu Atem zu kommen, und versuchte, seine Gedanken in den Griff zu bekommen, besser gesagt, überhaupt wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Peter war tot, und er war schuld daran. Man würde ihn einsperren und sollte er je wieder herauskommen, dann wäre er ein sehr, sehr alter Mann. Pico erschauerte bei diesem Gedanken. Es war ein Unfall, ein wirklicher Unfall, aber das wußten nur Peter und er.

Langsam ging er zu seiner Wohnung, dann machte er sich einen starken Tee und rauchte schweigend. Er konnte vermutlich nichts tun, nichts außer dazusitzen und zu warten, bis sie kamen. Wenigstens hatte er die Videokassetten mitgenommen, es wäre ihm peinlich gewesen, wenn sie diese bei Peter gefunden hätten.

Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Erst vage, dann hell und klar. Rasch zog er sich wieder an, steckte den großen, orangefarbenen Umschlag in seine Manteltasche und hetzte wieder zu Peters Wohnung. An der nur angelehnten Wohnungstür blieb er stehen und wartete, bis sein Herz aufhörte, angstvoll galoppierend zu pochen. Nein, es war totenstill, nichts rührte sich. Anscheinend war in der Zwischenzeit noch niemand dagewesen.

Peter lag immer noch über der Armlehne, die Blutlache unter dem Stuhl schien dunkler geworden zu sein. Peter zog den Umschlag mit den 120.000 Schilling aus der Manteltasche und schob es zwischen die Bücher im Regal, dannnahm er Peters Abschiedsbrief aus dem Umschlag und legte ihn auf den Tisch. Er durchsuchte nochmals alle Schränke und das große Regal, aber er konnte keine Videokassetten mehr finden. Er starrte zehn Minuten auf Peter, aber der war tot, mausetot. Er blickte sich nochmals genaustens um, nahm Peters Reisetasche mit den Dollars und ging wieder heim. Diesmal zog er die Tür Peters hinter sich zu, nachdem er sich vergewisserte hatte, daß der Wohnungsschlüssel innen steckte.

Natürlich kontrollierte er sofort, was auf den Kassetten drauf war. Er war zunächst beruhigt, daß es seine Originale waren. Er hatte keine Kopien gefunden, da dürfte ihn Peter belogen haben. Die meisten, wie er befriedigt feststellte, stellten nur Sonja allein beim Masturbieren und Orgasmen dar. Sie konnte es von Mal zu Mal besser. Doch es waren auch einige Sequenzen, auf denen er Sonjas Scheide mit dem Daumen masturbierte. Er ärgerte sich, denn er war eindeutig erkennbar. Und dann die peinlichste Aufnahme, wie er sie fickte, gnadenlos fickte. Er sah es sich mehrmals an. Sonja, die zu einem heftigen Orgasmus kam, ein Orgasmus, der bis zum Ende des Fickens anhielt, gut zehn Minuten lang. Es war wirklich wahnsinnig aufregend, aber zugleich furchteinflößend, wie der Körper des Mädchens von den Orgasmen immer wieder zerrissen wurde. Wie sie verzweifelt versuchte, das Ficken zu beenden. Er und sein Schwanz, der die Kleine unerbittlich von Orgasmus zu Orgasmus peitschte. Das kleine Mädchen fiel immer wieder in Ohnmacht, es war ihrem Körper zuviel. Sie war richtig ohnmächtig, als er endlich zum Spritzen kam. Seine Eier tanzten aufgeregt, als er eine Ewigkeit lang in die kleine Jungfrau hineinspritzte. Erst nach dem 14. Hineinspritzen rollte er sich zur Seite. Sonja kam zu sich und zog sich hastig an. Pico mußte sich diese Vergewaltigung ein dutzendmal ansehen, bevor er die Kassetten versteckte.

Unter dem falschen Kachelofen im kleinen Zimmer befand sich ein Hohlraum, wo schon Onkel Aldo seine Schätze während des Krieges versteckt hatte. Pico kroch auf allen Vieren um den Ofen, bis er die richtige Kachel fand. Er mußte die pornografischen Bilder, die er gehortet hatte, und die Videokassetten ganz fest zusammendrücken, denn sonst hätte er nicht alles dort drinnen verstauen können. Aber nach einigen Minuten war das gesamte kompromittierende Material verschwunden, fürs erste zunächst. Später müßte er sich sicher etwas anderes überlegen. Das Geld stapelte er in einer kleineren Reisetasche und versteckte diese im Vorzimmer, hinter den Koffern und Taschen im Garderobenschrank.

Er konnte kaum schlafen, nickte nur minutenlang ein, dann trank er wieder Tee. Erst als der Morgen zu grauen begann, sank sein Kopf auf die Unterarme. Es war fast Mittag, als es an der Tür läutete.

Er war beinahe erleichtert, als er die beiden Kriminalbeamten hereinbat. Sie nannten ihre Namen, zeigten ihre Ausweise und blickten sich erst in den Zimmern um, bevor sie sich zum Tisch setzten. Pico war todmüde, aber gefaßt und erstaunlich ruhig. Er stand mit fragendem Gesicht neben den Beamten, während sie sich wortlos umsahen. Er sah sie nochmals an, als sie sich setzten und fragte dann, weil es ihm als die natürlichste Frage erschien: "Worum geht es bitte?"

Die beiden blickten sich an, dann nickte der ältere. Ob er einen gewissen Peter Weichsler kenne, was er bejahte. Woher er ihn kenne, fragte der ältere und fragte gleich darauf, ob sie rauchen dürften. Aber die Frage schien aus reiner Routine zu kommen, denn auf dem Tisch stand noch der randvolle Aschenbecher. Pico nickte, und sie rauchten alle drei, schweigend. Ob sie etwas trinken wollten, fragte Pico, aber sie lehnten ab. Also, fragte der ältere, nochmals, woher er Peter kenne. Wieso, was ist mit Weichsler? fragte Pico matt und als die beiden schwiegen, sagte er, er kenne Peter vom Segeln. Sie hatten sich bei der Prüfungsfahrt kennengelernt, danach sechs oder sieben Törns gemeinsam gemacht und würden sich zwanglos ein‐zweimal pro Monat treffen, zumeist in den umliegenden Lokalen.

Pico fragte nochmals, was mit Peter sei, es sei ihm doch nichts zugestoßen!? Die Beamten schwiegen zunächst, dann sagte der ältere, der Weichsler habe sich offenbar das Leben genommen. Peter schreckte zusammen und stand halb auf, schüttelte den Kopf. Doch, sagte der Beamte, Weichsler hat sich wahrscheinlich in den frühen Morgenstunden erschossen. "Das gibt's doch nicht!" rief Pico und war wirklich erschrocken, denn jetzt waren sie mitten in der Katastrophe, mitten im gefährlichsten Bereich. Er sackte wieder auf den Stuhl und schüttelte den Kopf. "Gestern abend, da haben wir noch lange miteinander getrunken" sagte Pico kopfschüttelnd und wußte, daß er ganz nahe an der Wahrheit bleiben mußte, wenn er auch nur den Hauch einer Chance haben wollte.

"Ja, das wissen wir" sagte der Jüngere, und dies war das Erste, was er an diesem Morgen sagte. "Die Nachbarn haben uns gleich erzählt, daß Sie bis fast Mitternacht dort gewesen sind und daß es auch ziemlich laut zugegangen ist!" Der Jüngere schien nicht so gemütlich wie der andere zu sein, vielleicht wußte er auch mehr. Pico hatte plötzlich das Gefühl, sehr vorsichtig sein zu müssen.

Eigentlich seien sie gar nicht laut gewesen, meinte Pico, oder nicht besonders. Man hatte nach einigen Gläsern Wein vermutlich nicht mehr darauf geachtet, ob man die Nachbarn störte. Dann fragte der ältere, ob ihm irgend etwas an Weichsler aufgefallen sei. Pico wackelte mit dem Kopf und meinte vage, eigentlich nicht. Ob er Peters Waffe kenne, aber das konnte er beruhigt mit Nein beantworten, er hatte das Teufelsding ja nie angefaßt, also log er. Nein, so gut kannten sie sich ja doch nicht, er wisse nicht besonders viel über Peter, sagte er und tat, als ob er darüber nachdachte, wie wenig er Peter kannte. Der Jüngere hakte nach und wollte wissen, worum es genau gegangen sei, gestern.

Peter wußte, daß er jetzt lügen mußte, und das auch noch geschickt. Er stotterte etwas von "dies und das", dann meinte er, an diesen langen Abenden würden sie in alten Erinnerungen an gemeinsame Segeltörns schwelgen, aber die Palette reichte bis hin zu tagespolitischen Themen. Eigentlich quatschte man den ganzen Abend, ohne ein bestimmtes Thema, sondern halt über alles. Ob sie über Geld gesprochen haben, fragte der Jüngere und blickte ihn düster an.

Ach, das Geld, sagte Pico. Nein, das wäre vorgestern oder vor zwei Tagen gewesen. Es sei ihm peinlich, darüber zu reden. "Es gibt da nichts Peinliches", knurrte der Jüngere, "uns müssen Sie alles erzählen, alles!" Pico sagte, er sei zwar schon in Pension, aber über die Bank und über Bankkunden dürfe er normalerweise mit niemandem reden, das sei so wie das Beichtgeheimnis. Der Jüngere blickte ihn streng an, sehr streng. Pico sah ihn einige Sekunden an, bis es ihm unbehaglich wurde, dann erzählte er den beiden dasselbe Geschichtchen, mit dem er bereits Dr. Kantor und den dummen Herzog geködert hatte. Und, daß er natürlich keine genauen Angaben zu der angeblichen Erbschaftsgeschichte machen könne, da habe sich Peter immer sehr bedeckt gehalten und sich um jegliche Details gedrückt.

Also, wie das jetzt mit dem Geld sei, fragte der jüngere Beamte, sichtlich ungeduldig. Peter erklärte, er habe ihm als guten Freund einen Freundschaftsdienst erweisen wollen und ein Anonymkonto bei der Kantor‐Bank für Peter eröffnet. Dann habe Peter sich immer seltsamer benommen und eben, vor zwei Tagen, von ihm verlangt, er wolle sein Geld wiederhaben. Also habe er das Geld wieder von der Bank geholt und es Peter gegeben. Er habe Peter an diesem Abend auch Vorhaltungen gemacht (und Pico flocht geschickt ein, daß das vielleicht der laute Abend gewesen sein könnte, den die Nachbarn erwähnt hatten), ja, denn an diesem Abend hätte er einmal laut und deutlich gesagt, daß er sich in der Bank ziemlich blamiert hätte. Erst erzähle er in der Bank, wie vertrauenswürdig Peter sei, und zwei Tage später wird das Konto wieder geschlossen, weil Peter sich wie eine launische Primaballerina aufführte und nicht mehr wisse, was er mit seinen Ersparnissen anfangen wolle.

Und das können Sie alles belegen, hakte der Beamte nach. Er denke schon, meinte Pico, denn in der Bank würden die Belege und eventuell auch eine Gesprächsnotiz zu finden sein; das sei so üblich. Das Geld habe er Peter gleich übergeben, es müsse in der Wohnung sein, vielleicht noch in einem Umschlag der Kantor‐Bank, 120.000 Schilling. Der ältere nickte und bestätigte, daß man den Umschlag und den Betrag sichergestellt habe.

Der Jüngere blickte ihn mit einem Blick an, fast ein wenig erbost, denn anscheinend verfolgte er eine andere Strategie. Er wandte sich wieder zu Pico und frage, ob er einen Brief von Peter hätte, irgend etwas Handschriftliches. Pico verneinte zunächst, Briefe hatten sie sich nie geschrieben, aber dann sagte er: "Einen Moment!", ging zum Bücherregal und suchte einen Bildband heraus, einen schönen Bildband über historische Windjammer. Das habe ihm Peter einmal zu Weihnachten geschenkt, erklärte er, vorne sei eine handschriftliche Widmung. Der Beamte besah sie genau, dann fragte er, ob er sie mitnehmen könne, was Pico achselzuckend bejahte. Ob er das Buch zurückbekommen würde? Der Beamte sagte, sobald die Untersuchung beendet sei, dann riß er ein Blatt aus seinem Notizblock, schrieb "Weichsler/Rizzi" und Picos Adresse drauf und legte das Blatt vorne in den Bildband. Sie saßen schweigend und rauchten.

Er würde wieder von ihnen hören, sagte der Jüngere, vielleicht müsse er auch auf das Kommissariat zu einer weiteren Befragung, aber dann würde er eine schriftliche Vorladung erhalten. Sie standen auf. Pico nickte mit zugeschnürter Kehle. Gleich würde der Beamte sagen, erdürfe die Stadt nicht ohne seine Erlaubnis verlassen, aber nichts dergleichen geschah. An der Tür drehte sich der Beamte nochmals um und sah Pico forschend an. "Es ist Ihnen wirklich nichts an Weichsler aufgefallen, gestern abend?" Pico erstarrte, dann schüttelte er den Kopf. Nein, es war wie immer, Peter habe wie immer viel getrunken und sich natürlich über alle ausgelassen, denn das tat er immer. Die Schuld an seinem beruflichen Absturz wie auch an allem anderen Elend suchte Peter immer bei "denen" und "ihnen", aber daß er sich gleich umbringen würde, nein, das hätte er nie gedacht, sagte Pico. Er hätte nie geglaubt, daß Peter sich dermaßen in seine Tiraden hineinsteigern könnte.

"Ich habe mit meiner Frau erst heute wieder beim Frühstück darüber gesprochen, daß Selbstmörder ihre Tat immer vorher ankündigen — das wird beim Weichsler wohl auch nicht anders sein, habe ich gesagt", sagte der ältere. Pico bemerkte es erst jetzt, daß der Beamte ziemlich ungeschickt den Fernseh‐Helden Inspektor Columbo nachzumachen schien. Aber vielleicht täuschten ihn wieder nur seine zum Zerreißen gespannten Nerven.

Nein, der Peter habe nichts angekündigt, nicht ihm. Sonst würde er nicht seelenruhig heimgegangen sein, gestern abend, sondern hätte die ganze Nacht bei ihm gesessen, wenn es sein mußte, um ihm den Unsinn auszureden. Pico hielt inne und tat, als ob er lange nachdachte. "Das würde ich für jeden Freund oder Kumpel machen, das gehört sich doch so!" stieß Pico heraus. Der Ältere nickte zustimmend. Der Gedanke, sie könnten ihn mitnehmen und mit irgendwelchen technischen Methoden herausfinden, daß sich Pulverspuren an seiner Hand befanden, schnürte ihm die Kehle zu. Es wäre aus, dachte Pico, und das plötzliche Selbstmitleid trieb ihm das Wasser in die Augen.

"Verdammt," meinte er mit wütendem Unterton, "wie kann man bloß so blöd sein!"

Die Beamten sahen sich vielsagend an, der ältere legte seine Hand jovial auf Picos Schulter und schüttelte ihn kumpelhaft, dann nickten sie zum Abschied und gingen. Pico blieb einige Sekunden reglos stehen, dann setzte er sich. Seine Nerven lagen blank, er wollte einen Freispruch, jetzt gleich, aber er konnte nichts tun. Er konnte nur warten und hoffen, daß sie nichts fanden und die Akte schlossen.