Die Erpressung

Pico war außer sich, als ihm Peter erklärte, was er tun solle. Er sollte über seine Bank — über eine Kette von Nummernkonten bei anderen Banken — einen sauberen, nicht leicht zurückverfolgbaren Weg für das Geld, das Peter von seinen Gläubigern erwartete, einrichten. Gläubiger! Pico verstand ganz genau, daß Peter wieder mit dem Erpressen angefangen hatte und ihn nun auch dazu einspannte.

Sie saßen sich in Peters "neuer" Bude gegenüber und stritten. Peter hatte zu Anfang ihres Gespräches ein Video eingelegt; mit wachsendem Entsetzen erkannte Pico, daß es eines seiner gehorteten Schätze war: Sonja in Aktion. Peter unterbrach seine Vorführung nach einigen Augenblicken und hielt das Band an. Mit dem Finger zeigte Peter auf die rechte obere Ecke des Bildes, wo sich langsam der Wandspiegel ins Bild geschoben hatte. Picos Portrait im Spiegel. Peter fragte Pico grinsend, ob er mehr sehen wolle oder ob ihm das genüge. Pico war wie vor den Kopf geschlagen und nickte verschüchtert; wenn das bekannt würde, käme er bis an sein Lebensende ins Gefängnis! Er murmelte es halblaut vor sich hin, und Peter bekräftigte lautstark. Er hatte keine Wahl, so viel war klar.

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Das Standbild flackerte unruhig am Bildschirm; die billige Elektronik schaffte es nicht, das Standbild zu halten und das verzerrte Bild zerfiel immer wieder; beinahe schien es, als würde Sonja immer wieder in Teile gerissen werden. Pico bat nervös, Peter möge es abschalten. Peter nahm das Band heraus und steckte es ins Regal. "Ich habe alle deine Bänder kopiert," sagte er leichthin, "außerdem habe ich mehrere Kopien gemacht, damit du auf keine dummen Gedanken kommst!" Peter lächelte süffisant und lehnte sich zurück. Pico hätte vor Wut und Entrüstung beinahe laut geschrieen, bis er die Sinnlosigkeit seines Protestes einsah. Nun saß er zusammengekrümmt auf seinem Sessel und drehte das halbleere Weinglas mit seinen Fingern. Der Gedanke, daß es nur Videos von Sonja gab, schoß durch seinen Kopf; er selbst hatte sich nie in Aktion gefilmt. Oder? Lief die Kamera, als er beim letzten Mal Sonja gefickt hatte? Er starrte ins Glas, wartete stumm und gedemütigt darauf, was Peter eigentlich wollte.

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Peter erklärte ihm seine Idee und Pico wachte aus seiner Lethargie auf, hörte hellwach zu. Er kämpfte einen Augenblick mit sich, ob er Peter auf die kleinen, aber entscheidenden Fehler hinweisen solle, dann entschloß er sich dazu: es ging auch um seinen Kopf. Er sagte Peter, daß noch mindestens zwei Rücküberweisungen und einige Nachsendungen auf Nummernkonten bei Schweizer Banken getätigt werden müssen, damit verlöre sich die Spur in einem nach außen hin sinnlos erscheinenden Kreis. In Wahrheit ginge das Geld in zwei Tranchen weiter, und das könne man verdeckt durchführen. Peter dachte lange nach, dann nickte er. Außerdem, sagte er, wolle er zuerst einen Test durchführen, vielleicht mit Fünftausend Dollar zunächst, dann wolle man weitersehen.

Nochmals lehnte sich Pico auf, versuchte Peter von seinem Vorhaben abzubringen. Außerdem wollte er seine Bänder zurück, alle. Peter nickte, das geht in Ordnung. Gleichzeitig wußte Pico, daß er nie sicher sein konnte, ob es nicht irgendwo noch Kopien gab und es war ihm klar, daß er Peter auf Lebenszeit im Nacken hatte. Peter goß Wein nach und schilderte nochmals, wie die Erpressung über die Bühne gehen solle. Zumindest wollte er bei diesem ersten Durchgang feststellen, ob der Erpreßte, ein Stuttgarter Zahnarzt, bei seinem Finanzpartner Beschwerde einlegte (das tat er vermutlich) und ob er die Polizei einschaltete (das war sehr unwahrscheinlich). Der Finanzpartner aber würde seine eigenen Ermittlungen anstellen — und nichts herausfinden. Peter sagte, wenn sie zwei Wochen zuwarteten und es keine Komplikationen gäbe, dann sei die Sache gut gelaufen, dann würde er die Aktion groß starten. Wie groß, fragte Pico nach. Peter sah ihn erstaunt an und grinste dann: "Na ja, rund eine Million Dollar, soviel wird schon zusammenkommen."

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Pico pfiff durch die Zähne, nippte nachdenklich am Wein und dachte nach. "Das ist ziemlich viel!" sagte er zu Peter, "da werden sie ihre besten Leute einsetzen, um deine Spur zu finden!" Peter lachte. "Wieso meine? Das ist doch deine Spur!" Er schenkte noch ein Glas Wein nach und sagte zu Pico, es werde schon alles klappen. Und sein Schaden solle es ja auch nicht sein, wenn er vorsichtig genug war, würde nichts herauskommen, und Pico bekäme einen Anteil von zehn Prozent.

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Pico trank sein Glas aus und schüttelte den Kopf. Das mit dem Test sei Blödsinn, meinte er. Vermutlich funktioniert die Sache nicht, und wenn, dann höchstens nur ein einziges Mal. Es gelte, hopp oder drop, zudem wäre es äußerst unklug, dem Gegner dann auch noch zwei oder mehr Wochen Zeit für Nachforschungen zu geben. Die ganze Sache müsse schlagartig erfolgen, rasch und ohne Zeitverzug durchgezogen werden und danach dürfe es keine einzige Aktion mehr geben, keine weitere Spur. Die Nachforschungen würden nach zwei oder drei Wochen sicher zu ihm führen, da sei er sich sicher, denn Peters frühere Arbeitgeber beschäftigten hervorragende Leute.

Sie diskutierten lange hin und her, sprachen dem Wein zu und Pico beruhigte sich etwas, während er konzentriert über seinen eigenen Plan nachdachte. Wenn er keinen Fehler machte, blieb er als Person für alle unsichtbar; wie Peter sich später vor den Leuten seines Arbeitgebers verstecken wollte, daran dachte er nur kurz; solle er sehen, wie er damit zurechtkam. Peter versprach, ihm nach der Aktion alle Videobänder auszuhändigen und schien es ehrlich zu meinen; Pico wußte, daß er Peter vertrauen mußte, ob er wollte oder nicht. Trotzdem wollte Pico so umsichtig wie nur möglich vorgehen und Peter nicht in alle Details einweihen. Daß er außerdem noch sein eigenes Süppchen kochte, um aus Peters Würgegriff herauszukommen, wußten nur er und der Wind.

Erstens besprach er sich mit Herzog, später auch mit Dr. Kantor, daß ihm ein wichtiger Kunde, ein vertrauenswürdig erscheinender Segelpartner namens Peter Weichsler um ein geheimes Nummernkonto gebeten habe, über das er einige Transaktionen abwickeln wolle. Er erfand eine kleine Erbschaftsgeschichte, in deren Rahmen Weichsler nichtdeklariertes Geld aus der Erbmasse abgezweigt habe, bevor der Erbschaftsverwalter darauf zugegriffen habe. Dieses Geld müsse deponiert und später bar an Weichsler ausbezahlt werden. Geschickt hatte Pico einen Zeitpunkt gewählt, an dem Dr. Kantor kaum Zeit hatte und seinem Gefasel nur halbherzig zuhörte. Dann hetzte Dr. Kantor weiter, zu seinem nächsten Termin; vorher wies er Herzog an, es ausnahmsweise für Pico zu machen. Hinter Picos Rücken deutete er noch Herzog mit der Hand, der alte Pico habe wohl nicht alle Tassen im Schrank, bevor er ging.

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Umständlich kramte Pico in seiner Ledertasche, dann übergab er Herzog 120.000 Schilling als erste Einlage auf Peter Weichslers geheimen Nummernkonto. Herzog zog erstaunt die Brauen hoch, doch Pico erklärte, das sei nur mal die erste Tranche, sozusagen das Bare, das der Erbengemeinschaft vorenthalten werde, insgesamt würde es sich sicher um mehrere Millionen handeln. Herzog pfiff durch die Zähne und murmelte, der Weichsler, der sei ein ganz abgefeimter Hund, dessen Bruder wolle er bei Gott nicht sein! Pico legte seine Einfaltsmaske erst ab, als er wieder auf der Straße stand und tief durchatmete. Eins, dachte er bei sich, das war Eins. Nun kam Zwei, und Zwei war der schwierigere Teil.

Er fuhr mit dem Nachtzug nach Zürich und wies sich bei vier Banken ordnungsgemäß als Vorstandsmitglied der Kantor‐Bank aus. Selbstverständlich holten alle vier sofort eine Erkundigung ein und erhielten von der Kantor‐Bank die Bestätigung, daß alles rechtens sei — Herzog war von Pico auf die Anfragen vorbereitet worden. Dann legte er für seinen Klienten Peter Weichsler Nummernkonten an, wobei er jedesmal den von ihm vorfabrizierten Bankbeleg vorwies, daß Peter Weichsler über die Kantor‐Bank rund eineinhalb Millionen Dollar transferieren wolle. Herzog war ja leicht zu übertölpeln gewesen, nicht nur die 120.000 Schilling gegenzuzeichnen. Herzog, der es mit einem Einfaltspinsel zu tun zu haben glaubte und in seiner Überheblichkeit kaum zu bremsen war — Dr. Kantor hatte ihm ja signalisiert, Pico hätte nicht alle Tassen im Schrank! Nun wiesen alle Konten auf Herzog und Peter, mochten die beiden selbst mit den Folgen fertig werden.

Als er Peter in Wien wieder aufsuchte, teilte er ihm eine Kontonummer mit, auf die die Erpreßten einzuzahlen hätten. Dann gab er Peter noch zwei weitere Konten preis, denn das seien diejenigen, auf denen das Geld im Kreis geschickt würde. Das vierte Konto verschwieg er, ebenso das Konto bei der Kantor‐Bank.

Die nächsten Tage schlief er kaum, so aufgeregt war er. Täglich traf er sich mit Peter, merkte sich nach und nach die Namen der Erpreßten und die Beträge, während Peter sich bereits im Kaufrausch befand. Sie tranken viel und stritten sich immer wieder, weil Pico Angst hatte, man würde ihnen auf die Schliche kommen. Er mußte nicht einmal vorgeben, Angst zu haben. In Wahrheit war er in einer ausweglosen Situation und hoffte, sich irgendwie aus der Affäre ziehen zu können. Peter hatte während seiner Abwesenheit die Reste seiner Ersparnisse zusammengekratzt, sich Geld von anderen geborgt und es Angel gegeben. Zugleich wies er sie an, für mindestens zwei Monate in Amsterdam unterzutauchen, bis hier die Luft rein sei und er nachkäme. Was er natürlich nie vorhatte.

Picos Anruf in Zürich brachte Klarheit: es war ein Großteil von Peters Forderungen eingegangen. Er zwang sich zur Ruhe und verschwieg es Peter, genauer gesagt teilte er Peter nur lakonisch mit, es sei noch nicht so weit. Abends, als Peter wie jeden Abend auf seiner Beisltour war, fuhr er schnurstracks nach Zürich, ließ das Geld wie vorgehabt in Peters Namen rotieren und hob am nächsten Tag alles bar ab, was auf dem vierten Konto lag — rund die Hälfte — natürlich wieder unter Peters Namen; Peters Ausweis und Herzogs Vollmacht taten das ihre. Mit der Reisetasche voller Dollarscheine fuhr er nach Wien. Ein kurzer Besuch bei Herzog, bei dem er sich über Peter Weichslers zögerlichen und zaudernden Verhalten bitter beschwerte und das ganze Geld, die 120.000 Schilling, wieder abhob. Der Weichsler habe nun doch kalte Füße bekommen und wolle sein Geld wieder haben, klagte er. Herzog fand, daß sowohl bei Pico als auch beim Weichsler eine Schraube locker sei und schloß die Akte murrend ab.

Pico ging zu Peter und sagte ihm, daß sie nun nach Zürich fahren könnten, um die Beute abzuholen; mit keinem Wort erwähnte er, daß er gerade aus Zürich kam und schon einen Großteil der Beute in Sicherheit gebracht hatte. Peter nickte geistesabwesend und holte eine Flasche Wein, die sie langsam austranken, bevor sie zum Nachtzug eilten.

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Pico war wirklich verrückt genug, um Peter betrügen zu wollen.