Lilas Ehemann

Don Aldo, der zwar ein wenig wunderlich blieb, obwohl er das Trinken ganz aufgegeben hatte, schlief immer noch im Zimmer bei den jungen Frauen und fickte abwechselnd mit beiden. Die anfängliche Lust, die der ernsten Anna Maria immer weniger behagte, ließ langsam nach wie Don Aldos Kräfte auch. Er ließ sich zwar von Lila manchmal noch raffiniert verführen, zog aber meist die ruhige Art Anna Marias vor. Sie war nach Picos Geburt wieder gertenschlank und attraktiv geworden und gab sich scheu dem Alten hin, denn er war sehr still und liebevoll geworden. Lila war immer gerührt und ergriffen, wenn Anna Maria und Don Aldo sich scheu und zärtlich liebten — es war wie ein gegenseitiges Trösten im Schmerz des Höhepunkts, den die beiden sanft und verhalten erreichten. Lila galt unter Kennern als sündteure Edelhure, die ihr Geld wirklich wert war und wohnte jetzt häufig monatelang bei ihren Liebschaften; trotzdem unterstützte sie Anna Maria aus der Ferne finanziell tatkräftig, die mit den beiden Kleinkindern und Don Aldo alleingeblieben war. Er schlief jetzt nur noch mit Anna Maria, selbst wenn Lila mal für eine Nacht bei ihnen blieb. Lila respektierte diese Beziehung und freute sich für Anna Maria, daß sie doch noch einen guten Mann bekommen hatte.

In den acht Jahren ihres Zusammenlebens erlebte Anna ein romantisches und erfülltes Liebesleben mit dem Alten, der trotz seiner zunehmenden Gebrechlichkeit besser zu ihr war als jeder davor. Gleich von Anfang an lehrte er sie, die gegenseitige Erregung gemeinsam zu steigern, so daß sich der Akt beinahe wie von selbst ergab. Da sie zu Don Aldo großes Vertrauen bekam und keine Geheimnisse mehr vor ihm haben mußte, erkannte sie, daß das Masturbieren ihre wahre Obsession, ihre wahre Erfüllung war. In seiner Gegenwart fühlte sie sich frei und ohne Sünde; ihre Erregung sprang manchmal auf ihn über, wenn sie masturbierte. Verständnisvoll lenkte er ihre Entwicklung und ermutigte sie ehrlich, je mehr er selbst verfiel. Er befreite sie von der Dummheit, wie eine aufopfernde Nonne auf ihn alten Mann zu warten und lehrte sie, sich dem Verlangen ihrer Triebe hinzugeben, so oft sie es brauchte. Anna Maria dankte es ihm und gab ihm all ihre Liebe; bis zuletzt schenkte sie ihm das Wunder und die Wärme ihrer Orgasmen, als ihm nur mehr sanfte Umarmungen und staunende Erregung beim Zuschauen geblieben waren. Sie hielt ihn die ganze Nacht in ihren Armen und wärmte ihn wie ein Kind, als er starb.

Nachdem Onkel Aldo gestorben war, teilten sich Lila und Anna Maria wieder die große Wohnung in der Elisabethstraße. Lila war ungefähr 30, Anna Maria etwa 28. Anna Maria besann sich ihrer Fertigkeiten im Nähen, die sie als junges Mädchen bei ihrer Mutter erlernt hatte und verdiente ein bißchen Geld damit, zumindest aber Lebensmittel oder Stoffe, wenn die Kundschaft kein Bargeld hatte.

Anna Maria hatte Lila ihren Beschluß gleich nach der Beerdigung Don Aldos mitgeteilt. Sie würde nie mehr heiraten, nie mehr einen Mann kennenlernen, nie mehr mit einem Mann schlafen. Mit Don Aldo hatte sie die schönste Liebe ihres Lebens erlebt und wolle diese Erinnerung für immer aufbewahren. Sie gehörte jetzt nur noch Riccardos Kindern, Lila und Onkel Aldo hatten alles getan, um dies zu legalisieren. Hin und wieder, wenn sie sich sehr einsam fühlte, huschte sie nachts in Lilas Zimmer und schmiegte sich nackt an sie, lag erregt und lasziv in den Armen der Freundin und ließ sich von Lila, die das Lesbische über alles liebte, bis zur Erschöpfung zum Höhepunkt bringen. Hin und wieder stand sie auch im Badezimmer, um der Freundin und deren Liebhaber beim Liebesspiel zuzusehen. Aber das geschah immer seltener, denn Anna Maria wurde immer verdrehter und bigotter, betete viel und brachte ihren Kindern strengen Glauben und tiefe Gottesfurcht bei — sie hatte die Freiheit, die sie bei Don Aldo gewonnen hatte, wieder gänzlich verloren und grämte sich furchtbar über die Zwanghaftigkeit ihrer Sünde. Die Entfremdung zuwischen ihr und Lila wurde größer, ihre Rückfälle zum Voyeurismus immer seltener und sie zog sich heimlich und bedrückt in ihre obsessive Sucht zurück, der sie trotz ihrer verzweifelten Reue gänzlich verfiel. Die Witwe Rizzi würde es nie verstanden haben, hätte jemand behauptet, daß die paradoxe Diskrepanz zwischen ihrer lustvoll-sündigen Sucht und der bigotten Papisterei die Einstellung zur Sexualität bei Monika und Pico von Beginn an auf eine schiefe, verkniffene Ebene gebracht hatte, auf der sie eines Tages genauso verwirrt und süchtig fixiert dahinschlittern würden wie ihre Mutter.

Lila hatte sich seit Kriegsende nur mehr für Geld verkauft, oder fast immer, aber sie liebte die wechselnden Liebschaften mit Frauen über alles und fühlte sich freier, wenn sie kommen und gehen konnte, wann sie wollte und nicht erst lange mit der humorlosen Anna Maria darüber diskutieren mußte. So hatte sie ihr Zimmer am anderen Ende der Wohnung und lebte ihr eigenes Leben. Nein, das stimmt nicht, denn sie kümmerte sich ebenso wie Anna Maria um die kleine Monika und den kleinen Pico, teilte nicht nur das Geld und die großzügigen Geschenke, die sie von ihren Liebhabern erhielt, mit Anna Maria und den Kleinen, sondern opferte auch gerne ihre Zeit, wenn Anna Maria zur Arbeit ging. Ihre Abende aber gehörten dem Schieber-Dolce-Vita von Wien, dem offen oder geheim blühenden Nachtleben, in dem sich Huren, Nazis und Schieber ebenso herumtrieben wie ehrbare Väter, Frauen, die verführt werden wollten und Lila, die sich häufig in reiche Männer, galante Schwarzmarkthändler und steinreiche Bankiers oder deren Gattinnen verliebte. Eines Abends lernte sie ihren späteren Mann Erich kennen.

Sie war wie vom Donner gerührt, als sie diesem ernsten Kriegsheimkehrer zum ersten Mal begegnete, der im Etablissement völlig deplaziert wirkte. Was immer diese Liebe ausgelöst haben mochte, sie hätte den Grund später nie nennen können. Denn er war so gänzlich anders als sie, daß außer ihr selbst wohl niemand auf die Idee gekommen wäre, diese zwei Menschen seien füreinander bestimmt. Er hatte nach dem Elend des Krieges und der langen Gefangenschaft, die ihn an Leib und Seele verwundet zurückspie, keinerlei Lebenslust, keinen Humor und keine Sinnesfreude mehr. Er wollte nur seine Arbeit auf der Universität wiederbekommen, aber nicht mehr als kleiner Studienassessor, sondern als ordentlicher Professor. In den Wirren der Nachkriegszeit genügten manchmal fundiertes Fachwissen und sicheres Auftreten, um berufen zu werden. So lernte Lila ihren Universitätsprofessor und späteren Mann kennen. Lebenslust und Sinnenfreude kehrten mit Lila wieder langsam in sein Leben ein.

Ihre Verliebtheit mußte sie Anna mitteilen, und das wirkte irgendwie ansteckend, und Anna folgte ihr abends erst zögernd, doch voll Neugier ins Bett, wo Lila ihr alles haarklein erzählte. Besonders Erichs sagenhaften Sex schilderte sie so detailliert, daß sie selbst wieder aufs Höchste erregt wurde und mit Anna Maria bis zur Erschöpfung Liebe machte. Es mag verrückt klingen, aber Lila liebte während dieser Verlobungszeit tagsüber ihren Erich, nachts lag sie bei Anna und verführte sie, obwohl Anna anderntags zerknirscht wegen ihres sündigen Tuns ein Avemaria nach dem anderen herunterbetete. Die glückliche, verliebte Lila lachte die reuevolle, bigotte Anna aus und verführte sie immer wieder. Die lesbischen Beziehungen, die sie manchmal heimlich einging, wenn sie eine wunderschöne Frau kennen- und liebengelernt hatte, verschwieg Lila ihrem Erich wohlweislich.

Bei Erichs kargem Einkommen in seine karge Wohnung zu ziehen, das wollte sie eigentlich nie. In der großen Wohnung der Rizzis war Platz genug. Die Trauung fand nach wenigen Wochen statt, und so lebte sie mit ihrem Mann in der Elisabethstraße. Was Erich allerdings nicht wußte, natürlich nicht wußte, war die Beziehung zwischen Lila und Anna Maria vor ihrer Eheschließung und das sonderbare übereinkommen, das die beiden Frauen irgendwann einmal getroffen hatten.

Seit Erich bei ihnen lebte, konnte Anna Maria nicht gut zu Lila ins Bett schlüpfen, wenn sie sich einsam fühlte. Ihre innere Not und die Unfähigkeit, Lust zu empfinden wurde so drängend, daß sie eines Tages verschämt und voller Skrupel mit Lila darüber sprach. Lila, die Lebenslustige, war völlig in ihren Erich verliebt und liebte die ganze Welt; sie übersah vollkommen, daß diese eigentlich in Trümmern lag. Lila lachte hellauf und sagte, Mensch, Anna, das ist doch kein Problem — die Durchreiche im Badezimmer, du weißt doch noch?!

Anna Maria hatte es nicht erwartet, aber nun atmete sie auf. Lila half ihr damit ungemein, und in der folgenden Zeit verlor sich Annas Not vollständig, obwohl gleichzeitig ihre religiösen Skrupel über ihr sündhaftes Tun bedenklich anwuchsen. Der Lauf der Dinge wäre wohl anders gewesen, wenn Anna Maria eines nachts nicht unvorsichtig laut geworden wäre. Erich sprang wie von der Tarantel gestochen auf und rannte ins angrenzende Badezimmer, wo er neben der Durchreiche Anna Maria auf dem Boden liegend vorfand, nackt und erregt masturbierend. Er schrie sie an, bis sie nur mehr ein verheultes kleines Elend war und er hätte wohl weitergeschrieen, wenn Lila nicht dazwischengefahren wäre.

Ruhig und mit eiserner Beherrschung versuchte sie ihm die Dinge zu erklären. Aber Erich war eigentlich nicht der Gentleman, der diese Dinge auch verstanden hätte, sondern nur ein kleiner, fieser Spießer. Daß seine Frau ihrer Freundin die Erlaubnis gegeben haben sollte, das ging ihm überhaupt nicht ins Hirn, ja nicht einmal ins Ohr, das wollte er gar nicht hören! Die Hure war einfach eine gemeine Voyeurin, eine krankhafte Masturbantin, pfui, und damit basta! Er stellte Lila vor die Wahl, mit ihm in seine frühere Bude zu ziehen oder sich von ihm zu trennen. Lila, nun, Lila war in vielen Dingen des Lebens erfahren und hätte sicher die richtige Entscheidung getroffen, wenn sie nicht vor lauter Liebe zu Erich blind gewesen wäre, also wählte sie ihn, ihn und seine muffige kleine Welt. Für die nächste Zeit zumindest.

Eines Tages stand sie dann wieder vor Annas Tür, versuchte, ihre verweinten Augen mit Migräne zu entschuldigen und bat um Einlaß. Nachdem sie Kaffee getrunken und ein bißchen oberflächliches Zeug getratscht hatten, kam Lila zum Punkt. Sie könne nicht länger bei Erich bleiben, er wäre so ein elender Kleingeist, vernachlässige sie wegen seiner Karriere und dulde es nicht, wenn sie dafür ihre eigenen Wege gehen wolle. Er sei ein Versager im Bett, grob und ohne Phantasie und drohe ständig mit Trennung, aber sie habe nun genug.

Aber ganz so einfach lief es nicht. Schon wenige Tage später ging Lila wieder zu Erich zurück, kurz darauf stand sie wieder vor Anna Rizzis Tür und heulte. Das ging einige Wochen lang so weiter, bis sie sich zu ihrem ganz speziellen Kompromiß durchrang: sie würde bei Erich bleiben, aber hie und da würde sie sich einen Liebhaber nehmen und ihr früheres Zimmer in der Wohnung der Rizzis benutzen, wenn Anna Maria damit einverstanden sei. Anna Maria hatte wohl einige Skrupel, eigentlich war es ja eine schwere Sünde, aber dann hatte sie Mitleid mit Lila und nickte gottergeben. Und vielleicht auch in der Hoffnung, ihrem freudlosen Alltag durch ein bißchen Voyeurismus und lustvolles Sündigen hie und da zu entrinnen.