Epilog

von Lena A. Lien © 2023

"Memomail als Nachtrag zu: Jan Ohnehand, für seine Schwester Lena Ohnehand.

Ich heiße Franz Lauritzen und war Burghauptmann in Neu-München, als dein Bruder Jan bei uns auftauchte. Wir schlossen uns seinem Vorhaben an, das in Lübeck leider scheiterte. Wir gerieten in einen Hinterhalt, den nur Jan und ich überlebten. Wir wurden zu einer Zuchtkolonie im Orbit verbracht, wo wir mehrere Monate als Gefangene lebten.

Nach unserer Rückkehr auf die Erde wurde dein Bruder Jan beschuldigt, für die Sprengung der Handelskette verantwortlich zu sein. Ich wünschte, es wäre so, dann wäre er wenigstens ein Held. Ich weiß nicht, wie es jetzt bei euch draußen aussieht, aber wenn es so ist, wie ich es mir denke, dann weiß ich, daß es gut ist, wie es ist.

Jan und ich wurden vor nun beinahe zwei Jahren in diesen Trakt verlegt, wo wir wie die anderen Gefangenen als Zuchtmenschen leben. Jan lernte ich als klar denkenden Strategen mit hervorragenden Fähigkeiten kennen, der keine Angst im Kampf zeigte und im Lauf der Gefangenschaft ein guter Freund wurde.

Nach seinem sogenannten Prozeß habe ich ihn einige Monate nicht mehr gesehen. Eines Tages wurde er völlig gebrochen in unseren Trakt verlegt. Man hatte ihn gefoltert und schlimm verprügelt. Offenbar hat ihm das gesundheitlich sehr geschadet, denn nun ist er retardiert wie ein kleiner Junge, der manchmal vor sich hinbrabbelt und nicht immer genau weiß, wo und wer er ist. Er erwähnt dich und seine Frau Veronika oft, denkt ständig an euch und ich nehme an, ich soll euch beide von ihm grüßen. Er trägt über seiner Kutte immer noch ihr Kreuz und deinen Rosenkranz mit den drei Kügelchen und dem Holzkreuz.

Leider hat er sich geistig völlig auf die Stufe eines Sechsjährigen zurückgezogen, so daß ich nicht mehr viel mit ihm reden kann. Er spricht wie ein Kind zu mir und ich bemühe mich, ihm ein guter Vater zu sein, obwohl das in der Gefangenschaft sehr schwierig ist. Bei seiner Behinderung sind das Essen usw. etwas kompliziert, aber wir halten hier alle zusammen und bringen ihn gemeinsam durch. Gott sei dank ist ihm seine starke Konstitution geblieben, was in einer Zuchtanstalt wie dieser von überlebenswichtiger Bedeutung ist; in dieser Hinsicht mache dir bitte keine Sorgen.

Ich habe nach der langen Zeit meiner Gefangenschaft nicht mehr viel Hoffnung, daß wir wieder freikommen. Aber Jan sieht mich manchmal mit strahlend hellen Augen an und meint:

"Lena wird kommen, Lena wird mich holen kommen!"

Lebewohl, wo immer du auch bist.

Franz Lauritzen, Gefangener 745612, Hauptquartier Erde.

Ende Memomail."